5 Punkte zu “13 Fragen”

In der Sendung „13 Fragen“ hat Jo Schück mich gefragt, warum ich nicht selbst Influencer bin. Meine Antwort war: „Weil das nicht meine Rolle ist. Meine Aufgabe ist es, den einzelnen Menschen vor mir in den Blick zu nehmen.“ Deswegen werde ich keinen eigenen Kanal starten.

Stattdessen hier fünf Punkte, die ich an diejenigen richte, die als Influencer*in auf Social Media arbeiten und auch an diejenigen, die ihnen zuhören:


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Seid neugierig auf Euch selbst! Viele Geschichten die ich auf Social Media höre, haben ungefähr diese Form: „Mir ging es sehr schlecht. Lange habe ich nach einer Antwort gesucht, jetzt weiß ich, es ist _____ (hier eine Diagnose einsetzen)“. Diagnosen nach unseren aktuellen Klassifikationssystemen zu stellen, ist leicht. Wer eine Mindestanzahl an Kriterien erfüllt, der bekommt die Diagnose. Aber: Diese Diagnosen wurden geschaffen, damit Fachleute sich ohne Zeitverlust untereinander austauschen können. So hilfreich sie in Fachgesprächen sein mögen, so viel Information lassen sie auch weg. Wer seid Ihr? Wie ist das Leid entstanden? Was habt Ihr schon erfolgreich versucht, damit es Euch ein bißchen besser geht? Wer war daran beteiligt? Eine Diagnose ist nur ein Label. Ihr dagegen könnt etwas, was Diagnosen nicht können: Etwas über Euch selbst berichten. Erzählt Eure Geschichte!


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Betreibt mehr Psychologie! Viele, die sich heute mit Mental Health auseinandersetzen, erklären, welche Störungsbilder existieren, was die Biologie dazu sagt, welche Symptome es gibt. Das ist nicht Psychologie, sondern Psychopathologie, also die Lehre von psychischen Krankheiten. Doch Psychologie muss tiefer gehen. Was geht Euch durch den Kopf, wenn es Euch schlecht geht? Was ist passiert? Was habt Ihr getan? Wann wurde es besser? Wie erklärt Ihr Euch, wie es zu den Symptomen gekommen ist? All das ist viel interessanter für den Umgang mit sich selbst als eine Diagnose.

Sagt nicht, „Ich habe eine Depression“, sagt „In dieser Situation fühlte ich mich hoffnungslos und leer“. Sagt nicht, „Ich bin Asperger“, sagt, „Wenn ich mit bestimmten Menschen zusammen bin, fällt es mir schwer, mit ihnen zu reden, und zu verstehen, wie es ihnen geht.“ Sagt nicht, „Ich habe eine Angststörung“, sagt: „Immer wenn das passiert, habe ich furchtbare Angst.“

Man kann auf soviele verschiedene Arten „ADHS haben“, „depressiv“ oder „autistisch“ sein. Seid genauer! Schildert, was Euch wo, wie, wann fehlt. Dann fällt es auch Therapeut*innen viel leichter, zusammen mit Euch zu überlegen, wie man das Fehlende ausgleichen kann. Und manchmal muss man leider auch lernen, wie man auf das Fehlende verzichten kann. Dinge nicht zu können, schlechte Gefühle und Versagen gehören zum Leben dazu.


Diagnosen sind nur ein Anfang (und nicht unbedingt der beste)! Eine Diagnose zu erhalten, ist für viele im ersten Moment erleichternd. „Ich habe ein bekanntes Problem, ich bin damit nicht allein. Und es gibt dafür bewährte Therapien!“ Was wir in den Sozialen Medien von Euch hören, sollte aber nicht an dieser Stelle enden. Mit der Diagnose ist noch keine Lösung gefunden. Insbesondere wenn Euer Problem als rein biologisch beschrieben wird (ein Ungleichgewicht im Gehirn, ein Gendefekt usw.), werden die Lösungsmöglichkeiten manchmal sogar kleiner. Wenn das Gehirn oder die Gene schuld sind, was soll man dann noch tun, außer Tabletten zu schlucken? In einer guten Therapie werden aber oft Wege entdeckt, auf denen jeder passend zu seiner Situation Lösungsschritte machen kann. Oft bauen wir dabei auf das auf, was Ihr schon selbst einmal erfolgreich umsetzen konnten. Ein besserer Anfang sind die Dinge, die nur Ihr über Euch wisst. Worunter leidet Ihr genau, wann konntet Ihr etwas für Euch selbst tun? (Und überlegt Euch, ob Ihr das alles wirklich öffentlich teilen wollt.)


Macht die Verbesserung Eures Selbst nicht zum Lebensthema! Es geht nicht darum, Euch zu reparieren. Die Aufgabe, die Ihr Euch in Eurem Leben stellt, sollte nicht lauten „Ich will meine Depression/mein ADHS/meinen Autismus überwinden“. So werdet Ihr Euch nur an der Krankheit abarbeiten. Eine passendere Aufgabenstellung wäre bspw.: „Ich will mir überlegen, was ich mit meinem Leben machen kann, auch wenn ich dabei vielleicht immer wieder depressiv bin.“ Das ist oft der erste Schritt in ein erfüllteres Leben — mit weniger Depression.



 

Und denkt immer daran: Für Leid braucht man sich nicht zu schämen! Das gilt auch dann, wenn es zu keiner offiziellen Diagnose passt.

Bild (c) David Biene