Buchbesprechung - Thomas Szasz: Geisteskrankheit - ein moderner Mythos
Szaszs „The Myth of Mental Illness“ - Eine Kritik der Psychologie
Einführung
„Totschweigetaktik“ nannte Thomas Szasz die Behandlung, die er nach Veröffentlichung seines Buches „The Myth of Mental Illness“ im Jahr 1961 erfuhr. Inzwischen war er außerhalb psychiatrischer Fachkreise als Kritiker bekannt geworden. 50 Jahre nach der Ersterscheinung wurde sein Klassiker jetzt neu veröffentlicht. In einem neuen Vorwort erzählt Thomas Szasz, wie er innerhalb von zehn Jahren nach Erscheinen von „The Myth of Mental Illness“ zur Unperson in psychiatrischen Fachkreisen wurde. Die Neuauflage seines Buches zum 50. Jubiläum wird in psychiatrischen Kreisen wohl nur wenige Leser finden.
50 Jahre nach seinem Erscheinen erhält das Buch dafür neue Aktualität in einem anderen Fach: der Psychologie. Dieses Fach arbeitet zunehmend mit bio-psycho-sozialen Modellen, durch die biologische Vorstellungen und Methoden auch in Klinischer Psychologie und Psychotherapie Eingang gefunden haben. [...]
Damit ist die Zeit gekommen, dass auch die Psychologie von der Szaszschen Kritik getroffen wird. Im folgenden soll, nach Argumenten geordnet, die Szaszsche Position dargestellt werden.
Das sprachphilosophische Argument
Beginnen wir mit einem Zitat in der für Szasz typischen pointierten Art.
„Man kann von der Bauchspeicheldrüse sagen, sie habe eine natürliche Funktion. Doch was ist die natürliche Funktion einer Person? Diese Fragen zu stellen, heißt nach der Bedeutung des Lebens zu fragen. Es ist eine religiös-philosophische, keine medizinisch-wissenschaftliche Frage. Menschen verschiedenen Glaubens haben einander so ähnliche Nieren, dass man sie in den Körper eines anderen verpflanzen kann, ohne dessen Identität zu verändern. Aber ihr Glauben und ihre Gewohnheiten sind so grundlegend verschieden, dass sie es oft schwierig oder sogar unmöglich finden, miteinander zu leben“ (xxiii) (2).
Szasz weist damit auf die Kluft zwischen einer medizinischen Beschreibung des Körpers und einer Perspektive auf das menschliche Leben hin. Diese Unterscheidung wird nicht mehr selbstverständlich vorgenommen. [,,,]
Viele Vertreter der modernen Psychologie sehen dies als Fortschritt, als Ausdruck der gedeihenden Zusammenarbeit mit einer Nachbardisziplin zum gegenseitigen Vorteil.
Szasz weist auf die Verfehltheit dieser Annäherung hin. Die Sprache der Medizin eignet sich für ihn nicht zur Beschreibung persönlicher Probleme. In der Medizin gibt es, so Szasz, eine relativ neutrale Beobachtungssprache; sie kann beschreiben, ohne werten zu müssen. [...] Dies ist für Szasz bei Problemen des menschlichen Lebens vollkommen anders.
Das Verhältnis von Körper und Geist betrachtet er von einem sprachphilosophischen Standpunkt. Er beschäftigt sich mit der Art und Weise der Beschreibung von Körper und Geist. Dabei wendet er sich nicht gegen die Sprache der Medizin an sich. Die von Szasz befürchteten Nachteile für den Umgang mit Menschen ergeben sich aus der Übertragung dieser Sprache auf den Bereich des Psychischen.
So ist auch falsch, wie immer wieder zu lesen ist, Szasz habe behauptet, es gebe keine psychischen Krankheiten. Eine solche Aussage wäre ontologisch, sie beträfe die wahre Natur des menschlichen Geistes, der so beschaffen sei, dass er gar nicht krank werden könne. Szasz arbeitet aber nicht mit Aussagen zur wahren Natur des Geistes. Stattdessen führt er eine Analyse des Sprachgebrauchs in Medizin und Psychopathologie durch. Sein Argument ist also kein ontologisches, sondern eben ein sprachphilosophisches.