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Wenig bekannte Nebenwirkungen bei der Einnahme von Antidepressiva

 
 
 

In Deutschland legt die sogenannte »S3-Leitlinie« fest, wie Depressionen zu behandeln sind. Demnach sei die Erkrankung gut behandelbar: In leichten Fällen reiche eine Psychotherapie allein aus, in mittelschweren Fällen seien Psychotherapie oder Antidepressiva möglich, in schweren Fällen müsse beides kombiniert werden.

Ernüchternde Forschung – hitzige Debatten

Inzwischen gibt es gute Gründe, diese Darstellung grundlegend zu ergänzen. Die Erfolge der Tabletten, die von einigen Psychiaterinnen und Psychiatern sowie einzelnen Betroffenen auch öffentlich gefeiert werden, lassen sich in randomisierten kontrollierten Studien für die meisten Betroffenen nicht replizieren. Im Durchschnitt sind die von Antidepressiva verursachten Veränderungen nur geringfügig größer als die von Placebos. Diskutiert wird deshalb, ob die in der Praxis beobachteten und gefühlten Verbesserungen nicht zu großen Teilen auf einen bei Antidepressiva beträchtlichen Placebo-Effekt zurückzuführen sind (siehe u.a. Kirsch & Sapirstein, 1998).

Die Debatte verschiebt sich. Statt weiter über die er- nüchternde Datenlage zu reden, wird über ihre Inter- pretation gestritten. »Etwas mehr Schlaf durch ein Antidepressivum, das kann den Unterschied zwischen Leben und Tod für einen depressiven Menschen be- deuten«, meinen Befürworterinnen und Befürworter der Verordnung, die auf kleine Verbesserungen nicht verzichten wollen. Wenn im Durchschnitt kein über Pla- cebo hinausgehender Effekt gefunden wurde, bedeute

das zudem, dass es – im Rahmen der zu erwartenden Streuung – auch einige Personen gab, die stärker oder schwächer als auf ein Placebo reagiert hätten. So sei eine überdurchschnittliche Verbesserung bei ca. 14 % der Behandelten zu beobachten. Behandele man also zehn Millionen depressive Menschen mit einem Antide- pressivum, habe man 1,4 Millionen überdurchschnittlich dadurch geholfen (Thase, 2002).

Andere versuchen sich an rechnerischen Raffinessen, wie etwa in einer weithin rezipierten Arbeit des Forschers Andrea Cipriani, die die wenig beeindruckenden Rohwerte der Studien statistisch so aufarbeitete, als seien sämtliche Antidepressiva signifikant wirksamer als Placebos (Cipriani et al., 2018). Ein Befund, der statistisch korrekt, aber klinisch bedeutungslos war (Plöderl & Hengartner, 2019). Wie in vielen anderen Metaanalysen lag auch der von Cipriani et al. gefundene Unterschied zwischen Placebo und Antidepressivum am Ende bei rund zwei Punkten auf der Hamilton-Depressions-Skala. Das ist so, als würde man eine Diätpille einnehmen, um damit zuverlässig hundert Gramm abzunehmen. […]

aus: report psychologie, (46, 2021; S. 30 - 32).