Zu Alexander Noyons & Thomas Heidenreichs „Existenzielle Perspektiven in Psychotherapie und Beratung“ und anderen Brückenschlägen

 

 
 
 

Resonanzphänomene – Psychologische Psychotherapeuten suchen die Nähe zur Philosophie und finden zu sich selbst

Der Psychologe als Forscher produziert – entsprechend seiner Hausphilosophie, dem Kritischen Rationalismus – nie mehr als Falsifikationen, also Widerlegungen. Woher kommt dann Neues in die Wissenschaft, wenn sie ihr bestes Wissen immer dann produziert, wenn sie nur verneint, was schon ist? Diese Frage ist auch vom Schöpfer des Kritischen Rationalismus, Karl Popper, nie befriedigend beantwortet worden. Entsprechend unklar ist, wie Psychotherapie als Wissenschaft fortschreiten soll, wenn sie nur auf das schon Bestehende blicken, es evtl. differenzieren, es aber nie erweitern darf. Sobald sie über den etablierten Methodenkanon hinausgehen, hängen psychotherapeutische Ansätze wissenschaftstheoretisch in der Luft.

Also bedient man sich der Leihgabe. Die kommt dann etwa im „Modell der Subjektkonstituierung“ zur Expositionsbehandlung von Hoffmann und Hofmann (2004) noch etwas verdruckst daher. Wie beiläufig zitieren die Autoren Jean-Paul Sartres „existenziellen Blutsturz“ und lassen damit durchblicken, wer sie dazu bewegt hat, ihre Klienten nicht mehr bis zur Überwältigung durch die Angst zu konfrontieren. Der Hamburger Psychotherapeut Harlich Stavemann (2002; 2003) bekennt sich schon selbstbewusster zu seinen philosophischen Wurzeln. Durch Rückgriff auf die Schriften Platons versucht er, einer kognitiv-verhaltenstherapeutischen Standardtechnik, dem Sokratischen Dialog, ein philosophisches Fundament zu geben. Der sehr populäre ACT-Ansatz (z.B. Hayes, Strosahl & Wilson, 2011) wiederum empfiehlt zur Problembewältigung eine buddhistische Grundhaltung und gibt Nachhilfe in Achtsamkeit und Selbstverantwortung. Alexander Noyon & Thomas Heidenreich (2012) schließlich versuchen, eine existenzphilosophische Perspektive für Psychotherapie und Beratung zu formulieren.

 

Psychotherapieforschung beurteilt,
was gut funktioniert; nicht, was gut ist.

Durch den Bezug zur Philosophie lösen all diese Autoren das wissenschaftstheoretische Problem, wonach ihre Abweichungen und Neuerungen vom etablierten Kanon automatisch unwissenschaftlich sind. Sie sind ja wissenschaftlich, scheinen sie sagen zu wollen, nur eben nach den Maßstäben einer anderen Wissenschaft als der Psychologie, nämlich der Philosophie. Die Autoren gehen damit zugleich auch ein mindestens genauso schwerwiegendes praktisches Problem des psychologischen Wissenschaftsbetriebes an:

In der Tat führen die fehlenden philosophischen Grund- lagenkenntnisse in der Praxis bei vielen Therapeuten recht bald zum klassischen Zustand „sokratischer Verwirrung“, dem Wissen um das eigene Nichtwissen: Sie haben dann zwar beispielsweise ein Selbstwertproblem ihres Patienten korrekt diagnostiziert, müssen nun aber erkennen, dass sie nicht wissen, wie sie dieses mit den gelernten verhaltenstherapeutischen Mitteln und Verfahren zielgerichtet bearbeiten können. (Stavemann, 2003, S. 4).

Entscheidend ist die hier angesprochene fehlende Zielrichtung. Psychotherapieforschung fällt ein Urteil über die Ergebnisse des psychotherapeutischen Vorgehens. Die Therapie ist gut, weil sie funktioniert. Warum das, was gut funktioniert, gut ist, kann sie jedoch nicht beurteilen. In der Praxis reicht die Objektivität der psychologischen Erkenntnisse dann oft nicht aus; ein allzu objektiver Zugang zu persönlichen Problemen kann sogar hinderlich sein. Psychotherapieforschung bietet nur Bewertung, Orientierung liefert nur die Ethik – und damit befindet man sich auf philosophischem Gebiet. Dort finden sich auch Vorbilder, an denen man im Detail studieren kann, wie z.B. ein Sokratischer Dialog abläuft oder wie ein Thema existentialistisch behandelt wird. Um zielgerichtet handeln zu können, muss sich der Therapeut eine bestimmte ethische Position zueigen machen, weil er erst dann auf einen bestimmten Wert hinarbeitet. [...]

 

 
IMG_2952.JPG